Matter of Alliances
Marwa Arsanios
18.02. - 30.04.2023
Ausstellung
Mit Matter of Alliances, der ersten Einzelausstellung von Marwa Arsanios in Deutschland, präsentiert der HdKV eine Künstlerin, deren Arbeit ökofeministischen und dekolonialen Praktiken gewidmet ist.
Arsanios’ medienübergreifende Installationen – die Formate wie Textildruck, Zeichnung, Collage, Banner, Display, Mobiliar, Video und Archiv umfassen – basieren auf zeitintensiven Reisen und Recherchen. Darin konzentriert sich die 1978 geborene Libanesin auf widerständige Projekte aus den Bereichen Ökologie, Landverteilung und Agrarwirtschaft, Gemeinwesen, feministische Politik und radikale Demokratie – Initiativen, die sich in Abgrenzung von staatlichen Kontexten und Infrastrukturen unabhängig und selbst organisieren.
Im Zentrum der Ausstellung stehen die ersten vier Teile des seit 2017 bis heute fortlaufenden Projekts Who Is Afraid of Ideology?. Darin zeigt Arsanios den Widerstand von Frauen, die beispielsweise in Nordsyrien, im Libanon und in Kolumbien das Recht auf Land und Wasser verteidigen. Denn ihr Überleben hängt vom Schutz ihrer Umwelt ab. Permanent versucht der Staat ihnen dieses Recht zu nehmen und sie zu diskreditieren.
Der direkte, persönliche Austausch mit den Akteur:innen dieser Netzwerke ist prägend für die Arbeit der Künstlerin. Sie hebt Figuren wie Djamila Bouhired, eine Ikone des algerischen Unabhängigkeitskrieges, und andere Frauen in arabischsprachigen Ländern hervor, um der gängigen Darstellung brauner Frauen in diesem Teil der Welt als automatisch unterdrückt entgegenzuwirken. Zudem soll die Wahrnehmung von Gruppen, die in westlichen Diskursen als schwach und hilfsbedürftig konstruiert werden, so verändert werden, dass sie als die autonomen Urheber:innen progressiver Strategien begriffen werden, die sie tatsächlich sind.
Denn während die westliche Industrie und Lebensform Primärursache für die globale Klimakrise sind, werden innovativ und ökologisch vielversprechende Alternativen gerade in den am stärksten gefährdeten und heute schon betroffenen Gebieten der Erde entwickelt. So erstreiten indigene Gruppen, lokale Initiativen Einleitung und selbstorganisierte Gemeinschaften den Schutz ihrer Umwelt gegenüber internationalen Konzernen und im Widerstand gegen politische Repression. Damit zeigen sie, wie Krisensituationen zu Umdenken und kreativem Handeln führen können.
Arsanios führt in diesem Diskurs, der 1988 von Gayatri Spivak, einer Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, mit ihrem Essay Can the Subaltern Speak? ausgelöst wurde, eine neue ästhetische Perspektive ein. Zugleich erweitert die Künstlerin die Kritik am eurozentrischen Denken um ein ganzes Spektrum alternativer Erzählungen über das Anthropozän: Wie kann ein neues feministisches und ökologisches Bewusstsein zu dessen Transformation beitragen? Was können wir von der Kreativität und dem Mut selbstorganisierter nicht-westlicher Formen eines basisdemokratischen und ökologischen Gemeinwesens und seinen Aktivist:innen lernen? Ist es nicht Zeit, dass wir Umdenkprozesse einleiten, die die lähmende Sorge vor dem großen Kollaps durch innovative und alternative Modelle der Lebens- und Umweltgestaltung ersetzen? Wie kann der selbst verursachte Wandel der Umwelt als Krise neue kreativ nutzbare Handlungsräume für uns öffnen?
Mit Arsanios’ eigenen Worten: ›In light of the urgency on the climate change issue, and while governments and corporations have been ignoring it for decades now without wanting (most often) to take any responsibility on the matter, women farmers have been mobilising their means and knowledge to carry out the work of repair. I believe this kind of resistance front to climate change should be enhanced, learned from and worked with intensively.‹
Søren Grammel und Mehveş Ungan, Kurator:innen der Ausstellung
Gefördert durch NEUSTART KULTUR der Stiftung Kunstfonds